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Warten aufs Signal

Eine Reflektion zur Ausstellung „waiting for the bus“
von Birgit Jensen im KunstBüdchen in Lintorf
Beatriz V. Toscano

Diejenigen, die bleiben: Die Bushaltestelle Am Löken

Zu sehen ist die durchgehende Linie des Horizonts. Eine in Licht getauchte Landschaft, hellrot, vielleicht orangegelb, künstlich in ihrer Schönheit und ihrer seltsamen Heiterkeit, gleichzeitig trostlos, auf einer schwarzen Grundfläche. Mitten im Nirgendwo und in der Luft schwebend, der Geist eines Ringes, der sich im Takt eines Countdowns schließt, der mit jeder abnehmenden Sekunde andeutet, dass etwas Unabwendbares, etwas Ernstes passieren wird. Ende des Countdowns. Es gibt keine Explosionen, keine großen Brüche, keine Erlösung. Während sich winzige Raumschiffe, die ihre Chance nicht verpassen wollen, in die Luft erheben und verschwinden, hebt der Passant und Zuschauer den Blick, seufzt mit der Lustlosigkeit derer, die auf den Bus warten und steigt ein. Immer wieder kommen neue Menschen, sie warten. Der Bus kommt pünktlich an. Der Clip wiederholt sich und spielt wieder und wieder dieselbe Szene. Durch diese ewige Wiederkehr des Busses scheint es, als würde nie etwas passieren; die Reisenden sind in einer Zeitschleife gefangen. Die Raumschiffe versäumen es jedoch nicht, den Ort zu verlassen; so begreifen wir endlich, dass dieser der Ort der Zerstörung ist. Auf den Bus wartend bleiben die unbedarften Pendler, die von den entweichenden Raumschiffen offensichtlich nichts mitbekommen (wir nehmen an, dass sie in ihre Smartphone-Bildschirme vertieft sind), hilflos zurück.

Mit diesen Szenen - die eine von dem Clip der aus der apokalyptischen Einöde entfliehenden Raumschiffe, die andere von den banalen Wechselfällen des Haltes und Wartens am Büdchen - wird die Installation der Künstlerin Birgit Jensen für das KunstBüdchen in Lintorf wie ein Alarmsignal wahrgenommen: Wacht auf! Die Intention der Arbeit wird klarer, wenn wir die verschiedenen Episoden (nämlich der Bus, der das Signal an die Haltestelle sendet, der digitale Zugangscode für die Reisenden zum Video, die drängende Szene von etwas, das im Countdown endet), im Sinne eines Kontrasts zwischen der Dringlichkeit des Clips und der Langeweile eines Busses, der immer ankommt, betrachten. An die "metamatischen" Ketten erinnernd, mit denen sich Jean Tinguely amüsierte, indem er uns zu schelmischen Zuschauern der kosmischen Gesetze von Kausalität und Bewegung machte, deutet hier die Installation auf düstere Weise auf das System der Funksignale hin, mit denen die Busse das Verkehrsnetz über ihre unmittelbare Ankunft informieren. Auf diese Weise reproduziert die Installation jene Art von Cyborg-Semiotik, durch die die städtische Umgebung mit den Prozessen und Objekten in ihr kommuniziert. Die Installation skizziert eben diese Kettenreaktion: Der Bus nähert sich dem Punkt Am Löken. Eine Minute vor seiner Ankunft sendet er ein Funksignal an die Haltestelle, an der sich ein ehemaliger Kiosk, das KunstBüdchen, mit einem komplizierten Funkempfänger befindet. Der Alarm wird ausgelöst, synchronisiert mit einer skurrilen Mechanik, die einen QR-Code sichtbar werden lässt. Getrieben vom Automatismus einer anspruchslosen Neugier, die wir durch das Virtuelle erreicht haben, verbinden sich die Fahrgäste, apathisch, durch diesen Code mit einem Video. Ein Video, das genauso lange dauert, wie der Bus braucht, um anzukommen. Der Countdown, die fliehenden Raumschiffe, anonyme Reisende, die ein- und aussteigen. Es passiert nie etwas, der Bus kommt immer zurück. Aber dieser Bus, die Haltestelle, Godot, das wissen wir bereits, ist nur ein anderer Name, den wir gefunden haben, um den Tod zu benennen oder besser gesagt, um zu vermeiden ihn zu benennen.

Mit diesem Spiel der Erfahrungsräume, den vermeintlich fiktiven Räumen des Videos, die sich in die Szenen des realen, alltäglichen Lebens einweben, will „waiting for the bus“ durch die Ritzen unserer blinden Flecken schlüpfen; jener bequemen, schattigen Orte, an denen unser Bewusstsein ruht und von denen aus wir nichts tun wollen. Aber wie ich schon sagte, enthüllt dieses Werk seinen drängenden Inhalt nur subtil und in Etappen. Ein kurzer Überblick über das bildnerische Vokabular von Birgit Jensen offenbart eine hintergründige Botschaft. Man denke zum Beispiel an ihre mit Hilfe des Siebdruckverfahrens hergestellten Leinwände, auf denen ein eindringliches Motiv, zum Beispiel eine diffuse Stadtlandschaft nur zu erahnen ist, weil eine Art numerischer und verpixelter Schleier verhindert, dass wir das Bild überhaupt fixieren können. Die Stadt bietet sich uns nicht durch ihre verständlichen, klaren und tektonischen Konturen an, sondern durch den flüchtigen Eindruck, den ihre ephemere Existenz als Lichtblitz auf unserer Netzhaut hinterlässt. Getreu der reinsten Handwerkskunst, die am Ursprung der Kunst steht, verzichtet Birgit Jensen jedoch nicht auf die Materialität und Direktheit des Drucks mit der Farbe auf Leinwand, durch den das Bild in seine reinste und direkteste Körperlichkeit zurückgeführt wird. Ihre Leinwände entstehen als analoge Spur und dank derselben digitalen Techniken, die umgekehrt in der Lage sind, die Realität in die numerische Matrix des Codes zu übersetzen. Auch in „waiting for the bus" liegt der Schlüssel, der Auslöser im QR-Code, dieser wunderbaren Schwelle und dem Eingang zum Tunnel, durch den zwischen dem Video, der Umgebung, dem mobilen Gerät und natürlich dem Bewusstsein des Reisenden, auf den das Werk einwirken will, eine Verbindung hergestellt wird. Sie schaffen es schließlich, einander zuzuhören. Es geht um das Einbringen einer Sprache jenseits des Figürlichen, um die Öffnung eines Kommunikationskanals, der prägnant und effektiv ist. Mit dem Pixel als irreduzibler Einheit, durch die die Realität in Form eines numerischen Codes zu uns spricht, und mit dem QR-Code als dessen virtueller Version, spüren wir, dass wir es hier mit etwas Wichtigem zu tun haben, das es zu „ent-ziffern“ gilt.

Und wie könnten wir die Konstante des Kreises, der Scheibe, der Kugel, des Rings ignorieren; eine allgegenwärtige und metaphysische Präsenz in so vielen von Birgit Jensens Werken und, wie ich meine, ein weiterer Schlüssel zum Verständnis dessen, was „waiting for the bus“ uns sagen will.

Ein Kreis taucht auf als Nimbus in einer Lichtinstallation der Künstlerin an der Wand eines Gebäudes in Flensburg („Ringförmige Leuchtstoffröhre“, Installation auf der Eingangsfassade der Fridtjof-Nansen-Schule, Flensburg, 2000) oder als Mond auf einer Waldlichtung, der in der Ferne zu schweben scheint, oder wie hier in Lintorf als sich schließender Kreis auf dem drängenden Zifferblatt der ablaufenden Zeit. Losgelöst von jeglicher Szenografie erscheinen Kreis, Scheibe und Zifferblatt von jener rätselhaften Erhabenheit durchdrungen, die dem Apotropäischen, dem Unheil abwendenden, eigen ist. Der Kreis, die absolute geometrische Figur, die sich mit ihrer Anwesenheit auf einer Leinwand geradezu aufdrängt, erinnert auch an

jenen radikalen Impuls, mit dem Malewitsch mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte einer Leinwand beschloss, die Malerei und damit die Figuration auf ihren kategorischen und unwiderlegbaren Nullpunkt zurückzuführen (das Gemälde „Das Schwarze Quadrat“ von 1915 befindet sich heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau). Der Titel der Ausstellung in Petrograd, wo dieses Bild zum ersten Mal zu sehen war, hieß 0,10. Hier beginnt die geometrische Figur des Gemäldes in ihrer Prägnanz und Universalität ihre Botschaft zu offenbaren. Ja, auch in Code und Chiffre. Die Autorin Linda Boersma, die diese erste Ausstellung einer Bewegung, die später Suprematismus genannt werden sollte, dokumentiert hat (1994), zitiert Malewitschs Idee: Die Null (kurz: der Kreis) ist eine Denkfigur und bedeutet, dass sich die suprematistische Malerei an der Schwelle zu einer drohenden Zerstörung der Welt erkennt. 1914 ist Russland bereits in den Ersten Weltkrieg eingetreten.

Wir können daraus schließen oder zumindest vermuten, dass die Null, der Ring, der Code und Lintorfs Haltestelle vor einer bevorstehenden Zerstörung warnt. Eine Zerstörung, bei der es sich in diesem Fall nur um eine klimatische Notlage und eine planetarische Katastrophe handeln kann.

Diejenigen, die gehen: Mission SpaceX

Unweit von Austin, im Bundesstaat Texas, hat Elon Musk ein 2500 Hektar großes Grundstück erworben, um dort eine Siedlung zu errichten, in der die Belegschaft seines Unternehmens Tesla, SpaceX und der kürzlich gegründeten Firma Boring untergebracht werden soll. Damit reiht sich Musks idyllisches Snailbrook in das Bestreben so vieler Magnaten im Laufe der Geschichte ein, den „faulen und verdorbenen Gesellschaftskörper“ im Sinne der Utopie des ora et labora zu reformieren. Die Geschichtsschreibung berichtet, dass es in den meisten dieser Kolonien keine Kneipen, Klubs oder andere Einrichtungen gab, die im Verdacht stünden, ernsthaften Zeitvertreib jenseits der rationalen Kontrolle ihrer Gründer zu fördern. In Bezug auf die Jesuitenmissionen in Lateinamerika beschreibt Michel Foucault in seinem Text Heterotopien (1966), wie dort das Ideal der menschlichen Vollkommenheit erfüllt wurde. Sie versuchten, die Zivilisation Ex-nihilo neu zu gründen, jenseits des Staates, den sie für korrupt, abgenutzt und zu freizügig hielten. Diese Art von Kolonien "außerhalb der Zivilisation" jedoch, die Ex-nihilo geschaffen wurden, sind selbst auch tektonische Materialisierung und der Inbegriff des Konzepts der Flucht. Es ist nicht verwunderlich, dass man sie auf Deutsch „Aussteiger-Gemeinschaften“ nennt; es sind Zusammenschlüsse von Menschen, die genug haben und vom Dreck der Welt die Nase voll haben.

Mit der Firma Boring, die sich dem Graben von unterirdischen Tunneln widmet, und im Lichte von SpaceX, das sich der Konstruktion von Raumschiffen widmet, um eines Tages (am Tag 0,1 nach der Zerstörung des Planeten) den Mars zu kolonisieren, könnte man sagen, dass Musks unternehmerische Tätigkeit von demselben Impuls eines wahnhaften und narzisstischen infantilen Wunsches geprägt ist, sich zu verstecken oder zu entkommen und die unbekannten galaktischen Prärien zu kolonisieren. Mit Tunneln und Raumschiffen als den beiden wiederkehrenden architektonischen Konkretionen ist es eine abwechselnde Rückkehr aus dem warmen Schutz der Gebärmutterhöhle zu jener totalen und furchteinflössenden Offenheit, die das Universum ist, angetrieben von der unerträglichen Spannung zweier widersprüchlicher Emotionen: Angst und Größenwahn.

Mit seinen Reihen quadratischer Häuser, seinen biederen Siedlungen und Grünflächen ist Snailbrook ein unbeholfenes Experiment jener anderen Utopie, des unglaublichen E.P.C.O.T, mit dem Walt Disney am Tag 0.1 unter dem Schutz riesiger und friedfertiger Kuppeln (Blasen) den Fortbestand des amerikanischen Traums garantieren wollte. Wie die Arche Noah, die unter den Kreationisten des sogenannten Bibelgürtels als untrügliches Symbol für die Flucht und Rettung der Auserwählten gilt, ist auch E.P.C.O.T. mit dem unaussprechlichen Siegel der Zerstörung beschriftet. Zu fliehen ist ein Privileg, und die erbärmlichen Raumschiffe in Birgit Jensens Videoclip wissen, dass sie Deserteure eines Endes ohne Ende sind, denn wir wissen heute schon, dass der Planet weiter existieren wird, geronnen in der Zeit wie ein riesiger bräunlicher Fels mit orangefarbenen Sonnenuntergängen und einer toxischen Atmosphäre. Deshalb verknüpft Musk bei der Erläuterung seines Projekts SpaceX die Zerstörung des Planeten an die Notwendigkeit, zu fliehen und den Mars zu besiedeln (siehe: SXSW).

Die Architektur hat zusammen mit anderen Formen der Technologie dazu beigetragen, dass ein solches Privileg realisierbar ist. In den Mauern eines beeindruckenden florentinischen Herrenhauses scheint die Zeit für eine Gruppe fröhlicher junger Menschen stehen geblieben zu sein, die dort Zuflucht vor der Pest gefunden haben, die die Stadt heimsucht, wie Boccaccio schreibt (1353). Um sich die Zeit zu vertreiben, unterhalten sie sich mit pikanten und amourösen Geschichten. Daraus entsteht das Decameron. Währenddessen fällt die florentinische Bevölkerung dem Schwarzen Tod zum Opfer.

Und auch diejenigen, die gehen, sind in einer Zeitschleife gefangen. Als Buñuel uns am Ende von „Der Würgeengel“ (1962) zurücklässt, erinnert uns der scheinbare Komfort des Schutzes daran, dass es keinen Ausweg gibt. Tatsächlich wissen die drei Gäste in Huis Clos (Sartre, 1944) in einem Zimmer ohne Ausweg, einem nihilistischen Porträt einer Auflösung, die nie kommt, nicht, dass sie bereits tot sind.

Der Planet ist zerstört. Diejenigen, die zurückbleiben, wollen es ignorieren und kehren zu ihren täglichen Aufgaben zurück, um sich an die Unbilden einer immer knapper werdenden Welt anzupassen. Diejenigen, die gehen, betört vom Wahn des Über-Ichs, wissen nicht, dass auch sie bereits tot sind. Auch wenn Birgit Jensen auf die obszöne und moralisierende Deutlichkeit dieser Inhalte verzichtet, so ist der Ernst dieser Botschaft, die vermittelt werden muss, bereits in ihrem Werk präsent. Um nicht mit der Kakophonie der Fake News verwechselt zu werden, weiß die Künstlerin, dass ihr Vokabular anders sein muss. Sie muss in einer Sprache sprechen, die erlebbar und überraschend ist, in der die Zuschauer einem Theaterstück beiwohnen, in dem der Plot ihr eigenes Erwachen ist. Eine der beunruhigendsten Folgen der globalen Erwärmung und der damit zusammenhängenden „Versüßung“ der Ozeane (der Abnahme ihres Salzgehalts) wird die Auflösung des Kalkschutzes der Krustentiere sein. In einer giftigen Suppe erstickt, werden sie sich auflösen, verflüssigt wie durchsichtige weißliche Schatten, als ob sie den Fächer der Zeit umkehren würden, der es geschafft hat, die ersten Organismen aus der Dichte der Meeresgewässer entstehen zu lassen. Der Bus kommt immer an. Das Signal ertönt, der QR-Code-Anzeiger geht los. Der Countdown. Die fliehenden Raumschiffe. Wacht auf! Aufwachen, aufwachen!