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Liz Bachhuber

Foto: Florian Wehking | 2025

Liz Bachhuber

Unterwasserwelt

Flaschenpost aus der Unterwasserwelt
Die Unterwasserwelt, eine von unserem Lebensraum weitgehend getrennte Parallelwelt, entfaltet faszinierende Wirkung: Als Wunder der Natur erscheint sie – fernab von Lärm und Hektik des Alltags an Land – geheimnisvoll und idyllisch, mit leisem Rauschen und Gluckern der Strömung, umhüllt von Stille. Fische und andere Meeresbewohner gleiten elegant durch das Wasser, tummeln sich in Korallenriffen und sanft wogenden Pflanzen. Tief auf dem Grund liegen vielleicht versunkene Schätze in alten, von Algen bewachsenen Schiffwracks.

Liz Bachhuber eröffnet mit ihrer Installation Unterwasserwelt neben einem gedanklichen Assoziationsraum einen physischen, in den man – wie in ein Aquarium – blicken kann. Doch bei der Ausstellung handelt es sich nicht um eine Simulation der geheimnisumwitterten Welt unter Wasser. Vielmehr entdeckt man zeichenhafte Elemente, die auf diesen menschenleeren, doch vom Menschen gezeichneten Lebensraum verweisen. Da sind schwebende Fische aus Gips, vom Boden heraufragende Pflanzen und Korallen aus Keramik, Zweige und Steine. Und dann trifft man auf industriell oder handwerklich gefertigte Gegenstände, die dieser Sphäre zunächst nicht zugehörig scheinen.
Schnell wird sichtbar, dass Liz Bachhuber ein ambivalentes Bild der Unterwasserwelt erschafft und dabei ein Spannungsfeld zwischen (un)berührter Natur und vom Menschen verursachten Einflüssen aufmacht. Die Fische sind zwar naturgetreu aus Gips nachgebildet, erscheinen allerdings fremdartig: Einige sind mit handschriftlichen Briefen oder Notizen versehen, während andere partiell aus Plastikbehältern für Getränke oder Reinigungsmittel bestehen. Während die Keramikelemente, Geäste und Steine am Boden für die natürliche Umgebung der Lebewesen stehen, verweisen die künstlichen Bestandteile der Fische sowie herumliegende Objekte auf Auswirkungen menschlichen Verhaltens und dessen Folgen für den natürlichen Lebensraum der Meeresbewohner.
Die empfundene Trennung der Welten in die Sphären Land und Wasser löst sich in diesem von Liz Bachhuber geschaffenen Panorama auf: Was in den Tiefen der Meere oder Seen verschwindet, also aus dem Sichtfeld rückt, befördert die Ausstellung an die Oberfläche. Als Flaschenpost werden Botschaften gesendet, die dechiffriert werden können.

Das in der Installation Unterwasserwelt erkennbare Interesse an der Rolle des Menschen im Kontext von Umwelt und Natur spinnt sich als roter Faden durch Liz Bachhubers Œuvre und verdichtet sich im Laufe der Zeit zu einem vielschichtigen Netz. Dies zeigt sich an wiederkehrenden Themen und Motiven ebenso wie an den von ihr genutzten Werkstoffen und künstlerischen Verfahrensweisen.
Seit ihrer Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf arbeitet die Künstlerin mit Fundstücken – sei es mit Dingen, die weggeworfen wurden, oder mit organischen ‚Resten‘ wie beispielsweise Totholz. Auf Alltagsgegenstände als Motiv und Material der Gestaltung zurückzugreifen ist seit langem eine in der Kunst gängige Praxis – man denke an Kurt Schwitters‘ Merz oder Marcel Duchamps Readymades. Davon inspiriert und von Objekten fasziniert, die Liz Bachhuber im Düsseldorfer Sperrmüll der 1980er Jahre gefunden hatte, etablierte sich die Arbeit mit dem Fundstück im Laufe der Zeit als eine ihrer zentralen künstlerischen Strategien.
Zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere boten sich diese objets trouvés als kostengünstige Möglichkeit der Materialbeschaffung an. Später, nachdem sie 1993 als Professorin an die Bauhaus-Universität Weimar berufen worden war, stieß sie dort auf Dinge, derer sich Bürgerinnen und Bürger der Stadt nach dem Umbruch 1989/90, in der sogenannten ‚Wende‘-Zeit, entledigt hatten. All das Gefundene entfaltete durch seine Fremdheit eine exotische Wirkung auf die aus den USA stammende Künstlerin. Längst war die Nutzung von Fundstücken nicht mehr durch den Mangel an finanziellen Ressourcen angeregt – im Gegenteil: Liz Bachhuber entwickelte einen archäologischen und ethnologischen Blick auf diese Objekte als Speicher von Erinnerungen und Geschichten sowie als kulturelle oder ästhetische Artefakte. Indem sie ihre ‚Spolien‘ (von lat. spolium: Beute) in Installationen integriert, erlangt vermeintlich wertlos Gewordenes neue Bedeutung.
Diese durch Umwandlung bedingte Aufwertung und Neubewertung birgt zudem – im Sinne von künstlerischem Upcycling – eine ökologische Dimension. Die Zusammenarbeit mit Umweltingenieur:innen im Rahmen von interdisziplinären Projekten und Exkursionen seit Anfang der 2000er Jahre führte dazu, dass die Relevanz von Ökologie und Nachhaltigkeit für Liz Bachhubers künstlerisches Schaffen nochmals verstärkt wurde. Gemäß einer umweltbewussten ästhetischen Praxis verfolgt Liz Bachhuber inzwischen nicht mehr allein die Strategie des Upcyclings von weggeworfenen Dingen. Sie recycelt Bestandteile eigener Werke, indem sie Fragmente früherer Installationen in ursprünglicher oder modifizierter Form wiederverwendet. Dieses Verfahren nutzt Liz Bachhuber produktiv, um vorhandene Sinnbilder zu transportieren oder zu transformieren, um – wie ein Palimpsest – als Vorhandenem Neues zu entwickeln und weitere Bedeutungsdimensionen zu generieren. So hat sie auch eine ganze Reihe früherer Werke in ihre Installation Unterwasserwelt integriert.
Verwoben sind darin auch Zeitebenen und Erinnerungen – wie eine aus ihrer eigenen Kindheit, als sie im Sommerurlaub mit ihrer Familie im Norden von Wisconsin Zeugin einer fremdartig wirkenden ‚Tradition‘ wurde: Dort schoben die Bewohner:innen im Winter ihren mit Steinen, Baumstümpfen und Ästen zusammengeschnürten Sperrmüll auf den zugefrorenen See. Wenn im Frühling das Eis schmolz, sank der ausgediente Hausrat auf den Grund des Sees. In der Fehleinschätzung oder dem völligen Ausblenden der Auswirkungen dieses Vorgehens auf das empfindliche Ökosystem ging man davon aus, dass diese sogenannten brush piles (Als Brush Piles werden im eigentlichen Sinne keine Abfälle, sondern Haufen aus Reisig, Ästen, Stöcken und anderen Pflanzenteilen bezeichnet, die sowohl an Land wie auch im Wasser Lebewesen Unterschlupf und Schutz bieten können.) als optimale Brutstätten für Fische fungieren würden.
Aus dieser Erinnerung speisen sich unterschiedliche Arbeiten, die in Unterwasserwelt zusammenfließen und als Neues auftauchen: Dies sind unter anderem die Installationen Brushpile (1992), Brushpile II (1996) und School of Fish (2019), die sich zentrale Elemente – Äste, Zweige, ausgediente Alltagsgegenstände und an Angelschnüren hängende Fische aus Gips – teilen. Gemeinsam ist den Installationen das künstlich geschaffene ‚Environment‘ aus organischem und anorganischem Material sowie die naturalistische Abformung der Fische. Die reinweiße, glatte Gipsform der Tierplastiken, die das Erscheinungsbild in Brushpile und Brushpile II prägt, bricht Liz Bachhuber in School of Fish und Flaschenpost auf zweierlei Weise: Eine Variante entsteht durch die mit Schriftzeichen versehenen Fische, die wiederum in Verbindung zur Installation Flying Fish II aus dem Jahr 1992 stehen: Wo damals auf Bronzefischen zu Wörtern und Sätzen verkettete Lettern aus der Ferne noch wie Schuppen wirken mögen, sind sie – nun in Form von handschriftlichen Briefen und Notizen – auf die Gipsfische appliziert, um ihre natürliche Haut zu ersetzen. Eine andere Gestalt erlangen die Tiere durch die Integration von transparentem Plastikmüll, der Teil ihrer Körper wird. Durch die Kombination von natürlicher Form und künstlicher Deformation entwickelt Liz Bachhuber die Lebewesen zu Hybriden, die still und ruhig auf weltweit bestehende Umweltproblematiken verweisen.
Beiden Varianten ist eine Transformation gemein, die Bedeutung produziert: Schuppen werden durch Schrift zu (un)lesbaren Botschaften und Körper durch Plastikbehälter zu Sinnbildern der Zerstörung. Darauf, dass – wie es der Medientheoretiker Marshall McLuhan pointiert ausdrückte – das Medium die Message ist, deuten die Titel der Installationen School of Fish und Flaschenpost bereits hin. Die Frage, wie es um die Empfangsbereitschaft der Adressierten steht, schwingt in der Installation Unterwasserwelt mit.

Aus all diesen Elementen – seien sie materiell oder ideell im Raum schwebend – webt Liz Bachhuber in ihrer Installation Unterwasserwelt ein komplexes Netz aus Zeichen, Bedeutungen, Vorstellungen, Geschichten, Erinnerungen und Fragen. Dabei gewährt sie Einblicke in ihre künstlerischen Verfahrensweisen wie die Arbeit mit Fundstücken, das Wiederverwerten und Aufwerten von Material, das Aufgreifen und Umwandeln von der Natur entstammenden und von Menschenhand gezeichneten Lebewesen und Objekten. Erkennbar wird die Fortentwicklung ihrer Gestaltungsprinzipien und die Verdichtung ästhetischer Verarbeitungen der Wahrnehmung und Reflexion von Wirklichkeit.
Besucherinnen und Besucher können nun Teil dieses Geflechtes werden, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet, indem Fragen nach früheren, aktuellen und kommenden Entwicklungen aufgeworfen werden. Sich selbst und das eigene Tun einbeziehend, mit spielerisch-poetischem Gestus, eröffnet Liz Bachhuber ein Raum für das Nachdenken über menschliches Handeln und dessen Auswirkung auf scheinbar unberührte, natürliche Habitate anderer Lebewesen. Die Botschaft der Flaschenpost treibt aus der Unterwasserwelt an die Oberfläche.

Michaela Mai

Biografie

1993-2019 Gründungsmitglied und Professur für Freie Kunst, Fakultät Gestaltung, Bauhaus-Universität Weimar.
2001-10 Gründung des englishsprachigens MFA-Programms: "Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien". In 2006 wurde das Label: "Top 10 International Master Degree Courses Made in Germany" durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und den DAAD sowie einen 4-jährigen, internationalen Gastlehrstuhl "Ré Soupault“, vom DAAD verliehen.
2006 "Artist-in-Residence" University of Wisconsin-Milwaukee. Realisierung der Installation "Community Weaving" über einen Zeitraum von 4 Monaten.
1992-93 Dozentin für den Orientierungsbereich, Kunstakademie Münster
1990–91 National Endowment for the Arts in Sculpture, USA (Arbeitsstipendium)
1987–89 P.S. 1 studio residency program, New York (ausgewählt als eine von 40 internationalen TeilnehmerInnen; verlängert für ein zweites Jahr)
1988 Förderpreis der Stadt Düsseldorf
1984–85 Kunstfonds, e.V. Bonn (Arbeitsstipendium)
1983–84 Reisestipendium der Kunstakademie Düsseldorf: Arbeitsaufenthalt in Rom
1983 Meisterschülerin Kunstakademie Düsseldorf
1979 - 83 Fulbright/DAAD an der Kunstakademie Düsseldorf
1979 MA, University of Wisconsin-Milwaukee
1976 BFA, University of Wisconsin-Milwaukee
1972 University of Arizona-Tucson

Soloaustellungen (seit 2014):
2020 „Bridges and Bows“, Stadtraumboxen, Erfurt
2019 “School’s Out“ ACC Galerie Weimar
2014 "Vernestung", Frommanscher Skulpturen Garten, Jena
2014 "Liz Bachhuber", LA Artcore, Brewery Annex, Los Angeles, California

Grupenausstellungen (seit 2017):
2023-23„Materialize It“ Galerie Eigenheim, Weimar
2022 „Continuum“ 2022: Sitelines 42, Kenilworth Gallery, University of Wisconsin-Milwaukee
2022 „Reimagining the Global Village“, Layton Gallery, Milwaukee Institute of Art and Design, Milwaukee
2021 „Licht oder Schatten“, Schloss Kaarz, NW Mecklenburg
2019 „Bauhaus Frauen“, Kunsthalle Erfurt (2019)
2019 „Insekten“ Kunsthaus Steffisburg, Switzerland
2019 „Reassessing Material / Materie Neu Denken“ University Gallery, Kulna University of Engineering and Technology, Bangladesh; Sala 1, Rome (with Goethe Institute);
2018 „Reassessing Material / Materie Neu Denken“ Sala d’Exposicions, Facultat de Belles Arts, University of Barcelona
2017 „Tunnel Below/Skyjacking Above: Deconstructing the Border“ nGbK, Berlin

www.liz-bachhuber.com